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Perspektivenwechsel für die Wissenschaft

December 5, 2003 by  

Stiftung bewilligt 515.000 Euro für die Startphase des neu gegründeten Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)

Die Wissenschaft im dritten Jahrtausend muss ihre Blickrichtung ändern: Nicht weniger als das fordern die Gründungsdirektoren des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS), Professor Dr. Walter Greiner vom Institut für Theoretische Physik der Universität Frankfurt am Main und Professor Dr. Wolf Singer vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung.


Nachdem sich die Wissenschaft bisher vornehmlich damit befasst habe, die Welt in ihre Komponenten zu zerlegen und deren Eigenschaften immer genauer zu untersuchen, müssten jetzt die vielfach sehr gut beschriebenen Bausteine in ihrem Zusammenwirken betrachtet und besser verstanden werden. Genau diesem Anspruch stellt sich das FIAS, es will Arbeiten an den Grenzen der etablierten Disziplinen oder durch Übernahme von Denkweisen oder Methoden aus einer anderen Disziplin ermöglichen. Die Organisatoren des neuen Frankfurter Instituts setzen dabei auf eine explizit naturwissenschaftliche Ausrichtung bei einer starken Verzahnung zu experimentellen Arbeitsgruppen an vorzugsweise örtlich benachbarten Institutionen. Die VolkswagenStiftung stellt dem FIAS für die Startphase 515.000 Euro zur Verfügung.

Konkret soll das FIAS als “wissenschaftliche Querstruktur” dienen, um Forscher vorwiegend aus der theoretischen Biologie, Chemie und Physik in einem gemeinsamen intellektuellen und organisatorischen Rahmen zusammenzubringen. Beabsichtigt ist zum einen eine enge Verzahnung dieser theoretischen Disziplinen untereinander, darüber hinaus bietet gerade der Frankfurter Raum ein exzellentes Umfeld mit experimentell ausgerichteten Arbeitsgruppen der entsprechenden Fachgebiete, die sich auch international an vorderster Forschungslinie bewegen. Dies gilt vor allem für die Bereiche Hirnforschung, Membrane Proteomics, Studien von Makromolekülen, Atom- und Schwerionenphysik sowie für die Erforschung der Strukturen von Elementarteilchen.

Die stärkere theoretische Durchdringung naturwissenschaftlicher Phänomene ist längst überfällig. Die Hirnforschung beispielsweise, erklärt Singer, wisse genau, wie Neuronen aufgebaut sind und wie sie arbeiten; sie wisse aber nicht, wie letztlich daraus menschliches Verhalten resultiere. Ebenso könne die Theoretische Physik trotz aller Kenntnis über Quarks, Atome und Moleküle nicht erklären, was “die Welt im Innersten zusammenhält”. Weitere Beispiele ließen sich leicht finden. Singer selbst erforscht seit Jahren ein ähnliches Problem, die “Synchronität von Nervenzellen”. Will heißen: Wie verständigen sich räumlich im Gehirn zum Teil weit auseinander liegende Nervenzellen darüber, dass sie bei der Kodierung bestimmter Inhalte zusammenarbeiten müssen?

Generelles Leitthema für das Institut ist das Studium der Strukturbildung und Selbstorganisation in komplexen Systemen. Die organisatorischen Prinzipien komplexer zellulärer Einheiten und molekularer Netzwerke zu verstehen ist unerlässlich, um zahlreichen Phänomenen in biologischen Systemen auf den Grund gehen zu können. Gleichermaßen sind in der Physik und Chemie die Probleme der Strukturbildung in komplexen Systemen drängende Fragen.
“Unter diesem breiten thematischen Dach will das FIAS eine exzellente Forschungsinfrastruktur für international entsprechend ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereitstellen und sie damit in eine stimulierende intellektuelle Umgebung einbetten”, erklärt Singer.

Strukturbildung und Selbstorganisation sollen in verschiedenen Kontexten sowohl für lebende als auch nicht lebende Systeme erforscht werden. Voraussetzung für einen Großteil der Forschung an dem neuen Institut wird der Einsatz analoger mathematischer Werkzeuge sein. Da bietet es sich an, mit dem gerade erst an der Universität Frankfurt etablierten Center for Scientific Computing (CSC) eng zusammenzuarbeiten. Insbesondere in den Lebenswissenschaften scheint jetzt der Zeitpunkt erreicht, zu dem auf der Basis großer experimenteller Datenbestände eine neue theoretische Durchdringung, stärkere Formalisierung und übergreifende Konzeptentwicklung stattfinden kann.

Gleichermaßen eng verbunden mit dem FIAS, wird derzeit am Main die Frankfurt International Graduate School for Science (FIGSS) gegründet. Geplant ist, dass einige Doktoranden unter dem Dach des FIAS ausgebildet werden. Betreuer ihrer Doktorarbeiten wären Wissenschaftler am FIAS, parallel wird ihnen auch die Teilnahme an Lehrangeboten der naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universität Frankfurt ermöglicht. So sollen durch das interdisziplinär ausgerichtete Curriculum des internationalen Graduiertenkollegs junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert werden, die später einmal die zukunftsträchtigen Randzonen der genannten Disziplinen voranbringen.

Das FIAS findet weltweit kaum seinesgleichen. Als vergleichbar können derzeit lediglich das Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey (USA), und das 2002 gegründete Shanghai Institute for Advanced Study in China gelten, wohingegen die große Mehrzahl existierender Institutes for Advanced Study vorwiegend im geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich angesiedelt sind. Die Stiftung setzt mit diesem Engagement eine Tradition fort: Sie war bereits 1980 an der Gründung des Wissenschaftskollegs zu Berlin und später an der des Hanse-Wissenschaftskollegs Delmenhorst beteiligt, ebenso wie an einer Reihe von Neugründungen in Mittel- und Osteuropa – so am Collegium Budapest, am New Europe College in Bukarest und am Sofia Academic Nexus.

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