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Neue EU-Chemikalienrichtlinie beschlossen

October 29, 2003 by  

Die Europäische Kommission hat heute den Vorschlag für eine neuen EU-Verordnung für Chemikalien vorgelegt. Nach der geplanten REACH-Verordnung (Registration, Evaluation and Authorisation of CHemicals – Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe) sollen Unternehmen, die einen chemischen Stoff in Mengen von mehr als einer Tonne pro Jahr herstellen oder importieren, diesen Stoff in einer zentralen Datenbank registrieren lassen. Mit der Verordnung soll der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt verbessert werden, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie leiden. Die Industrie erhält durch sie mehr Verantwortung für die Beherrschung der von Chemikalien ausgehenden Risiken und die Bereitstellung von Information zum sicheren Umgang mit Chemikalien. Diese Information soll innerhalb der Produktionskette weitergegeben werden. Der Vorschlag wurde in enger Konsultation mit allen Interessengruppen entworfen, u. a. fand eine Anhörung über das Internet statt. So ist die Kommission zu einem ausgewogenen Vorschlag gelangt, der für die Betroffenen keine unzumutbaren Kosten verursacht. Der Vorschlag wird jetzt dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat zur Verabschiedung im Mitentscheidungsverfahren zugeleitet.


Unternehmenskommissar Erkki Liikanen: “Ich glaube, dass wir mit unserem Vorschlag einen tragfähigen Kompromiss zwischen Gesundheits- und Umweltschutz einerseits und Wachstum und Beschäftigung andererseits erreicht haben. Die Chemieindustrie selbst und die Industriezweige, die ihre Erzeugnisse verwenden, haben in allen Mitgliedstaaten erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Die Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ist vorrangig. Die in dem Vorschlag vorgesehenen Anforderungen und Verfahren bringen keine zu hohen Kosten mit sich und fordern die Innovationsfähigkeit unserer Industrie heraus. Der Vorschlag schafft außerdem einen stabilen Rechtsrahmen für den europäischen Binnenmarkt. Eine neue unabhängige Chemikalienagentur wird dafür sorgen, dass das REACH-System ordnungsgemäß funktioniert.”

Umweltkommissarin Margot Wallström: “Die REACH-Verordnung ist bahnbrechend. Wird sie verabschiedet, erlaubt sie uns, Nutzen aus Chemikalien zu ziehen, ohne uns oder die Umwelt Risiken auszusetzen. So gewinnen alle: die Industrie, die Arbeitnehmer, die Bürger und unser Ökosystem. Es gewährleistet das hohe Schutzniveau, das die europäischen Bürger erwarten dürfen. Mit ihm hat die EU eines der fortschrittlichsten Chemikaliengesetze der Welt.”

Das REACH-System

Die geplante Verordnung soll mehr als 40 bestehende Richtlinien und Verordnungen ersetzen. Ihr Kernstück ist das REACH-System, ein integriertes System zur Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe. Unternehmen, die Chemikalien herstellen oder importieren, würden verpflichtet, die mit ihrer Verwendung verbundenen Risiken zu bewerten und Maßnahmen zur Beherrschung der von ihnen erkannten Risiken zu treffen. Damit würde die Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit beim Umgang mit Chemikalien vom Staat auf die Wirtschaft verlagert.

Registrierung: Die Registrierung ist der Hauptteil des REACH-Systems. Chemikalien, die in Mengen von mehr als einer Tonne pro Hersteller oder Importeur und Jahr hergestellt oder importiert werden, sollen in einer zentralen Datenbank registriert werden. Einige Stoffgruppen (wie bestimmte Zwischenprodukte, Polymere und Chemikalien, die von anderen EU-Rechtsvorschriften erfasst werden) sollen von der Registrierungspflicht ausgenommen werden. Bei der Registrierung eines Stoffes sind Angaben über seine Eigenschaften, seine Verwendungen und den sicheren Umgang mit ihm zu machen. Die erforderlichen Angaben sind abgestuft nach der Menge, in der der Stoff hergestellt wird und den Risken, die er birgt. Die sicherheitsrelevanten Angaben werden in der Lieferkette weitergegeben, sodass diejenigen, die Chemikalien in ihren eigenen Produktion verwenden, das sicher und verantwortungsbewusst tun können, ohne die Gesundheit von Arbeitnehmern und Verbrauchern oder die Umwelt zu gefährden.

Eine neue europäische Agentur für chemische Stoffe soll die Datenbank verwalten, Registrierungsdossiers entgegennehmen und nicht vertrauliche Information der Öffentlichkeit zugänglich machen. 80 % aller Registrierungsdossiers werden voraussichtlich keine weitere Behandlung erfordern.

Bewertung: Bewertet werden sollen Dossiers und Stoffe. Eine Dossierbewertung soll bei allen Vorschlägen von Tierversuchen vorgeschrieben sein, denn auf Tierversuche soll nach Möglichkeit verzichtet werden. Die REACH-Verordnung wurde mit dem Ziel entworfen, Tierversuche und die Kosten für die Industrie auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Sie sieht deshalb die gemeinsame Nutzung von Prüf- und Versuchsdaten vor und fordert zur Nutzung alternativer Erkenntnisquellen auf. Mit einer Dossierbewertung soll es auch möglich sein, die Übereinstimmung einer Registrierung mit den Vorschriften zu überprüfen.

Die zuständigen Behörden sollen ferner jeden Stoff bewerten können, bei dem sie den begründeten Verdacht haben, dass von ihm eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ausgeht. Dabei werden die Eigenschaften des Stoffes und seine Übereinstimmung mit den Vorschriften geprüft. Die durchzuführenden Stoffbewertungen sollen in einen fortlaufenden Plan aufgeführt werden, der von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach den von der Agentur formulierten Prioritätskriterien aufgestellt wird.

Das Ergebnis einer Bewertung kann sein, dass die zuständige Behörde Information nachfordert. Sind die Mitgliedstaaten einstimmig dafür, liegt die letzte Entscheidung über die Nachforderung von Information bei der Agentur. Wird keine Einstimmigkeit erzielt, soll die Kommission entscheiden.

Zulassung: Es ist vorgesehen, dass besonders besorgniserregende Stoffe von der Kommission für bestimmte Verwendungen zugelassen werden. Dazu gehören krebserzeugende, erbgutschädigende und fortpflanzungsgefährdende Stoffe (CMR), persistente, bioakkumulierbare und toxische Stoffe (PBT), hoch persistente, hoch bioakkumulierbare Stoffe (vPvB) und sonstige Stoffe mit ähnlich schädlicher Wirkung auf Gesundheit und Umwelt wie die vorgenannten. Werden die mit der Verwendung solcher Stoffe verbundenen Risken ausreichend beherrscht, soll die Zulassung erteilt werden. Wenn nicht, soll die Kommission prüfen, wie hoch das Risiko ist, welchen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen der Stoff hat und ob Ersatzstoffe zur Verfügung stehen.. Danach soll sie über die Zulassung des Stoffes entscheiden. Die Kommission soll auch EU-weit gültige Beschränkungen für die Herstellung und Verwendung von Stoffen verfügen können, die EU-weit kontrolliert werden müssen, um sicherzustellen, dass die mit ihnen verbundenen Risiken tragbar sind.

Ein ausgewogenes System

Das vorgeschlagene neue System gewährleistet ein hohes Maß an Gesundheits- und Umweltschutz, ohne die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu beeinträchtigen. Dieser Kompromiss bringt auf lange Sicht Vorteile für Hersteller, Importeure und Anwender von Chemikalien, mittelständische Unternehmen, Verbraucher, Gesundheit und Umwelt.

Um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie zu erhalten und ihre Innovationsfähigkeit zu fördern, wurde das REACH-System gegenüber dem bestehenden EU-Chemikalienrecht einfacher gestaltet. Es zielt insbesondere ab auf:

Kontrolle besonders besorgniserregender Stoffe, u. a. krebserzeugende, erbgutschädigende und fortpflanzungsgefährdende Stoffe (CMR), persistente, bioakkumulierbare und toxische Stoffe (PBT) und hoch persistente, hoch bioakkumulierbare Stoffe (vPvB),

Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwands durch Anforderung lediglich der wesentlichen Angaben zur Sicherheit und zur Verwendung von Stoffen, die in Mengen von 1-10 t/Jahr hergestellt oder importiert werden,

Förderung von Forschung und Innovation durch Verlängerung des Zeitraums der Ausnahme von der Registrierungspflicht für Stoffe, die Forschungszwecken dienen, Erhöhung der Mengenschwelle für die Registrierungspflicht und Vereinfachung der Bestimmungen für nachgeschaltete Anwender,

Vermeidung zusätzlichen Verwaltungsaufwands für nachgeschaltete Unternehmen durch Nutzung bestehender Systeme für den Austausch von Sicherheitsinformation wie Sicherheitsdatenblätter (SDS). Das SDS ist ein international anerkanntes Mittel zur Information über Gefahren und Risiken chemischer Stoffe und Maßnahmen zu ihrer Minderung.

Minimierung der Kosten, die den Unternehmen durch das REACH-System entstehen.
Innovation

Das REACH-System enthält Anreize für die Forschung, was wiederum die Innovation vorantreiben dürfte. Es kommt Forschung und Innovation dadurch entgegen, dass es die Schwelle der Registrierungspflicht von derzeit 10 kg auf 1 t anhebt. Außerdem beträgt der vorgesehene Zeitraum, in dem Stoffe, die in Forschung und Entwicklung verwendet werden, von der Registrierungspflicht ausgenommen sind, jetzt bis zu 10 Jahre. Für die Entwicklung von Arzneimitteln ist diese Ausnahmefrist noch 5 Jahre länger. Die Bestimmungen für nachgeschaltete Anwender wurden vereinfacht, sodass ihnen neue Verwendungen von Stoffen erleichtert werden.

Kosten und Nutzen

Die mit der geplanten Verordnung verbundenen Gesamtkosten werden im Vergleich zu früheren Schätzungen erheblich niedriger ausfallen. Der Anfang des Jahres ins Internet gestellte erste Entwurf wurde gründlich überarbeitet mit dem Ziel, die Kosten zu senken und den Verwaltungsaufwand zu minimieren. In der neuen Folgenabschätzung werden die direkten Kosten, die der Chemieindustrie durch die REACH-Verordnung entstehen, auf rund 2,3 Mrd € über 11 Jahre veranschlagt. Das sind 82 % weniger als ursprünglich veranschlagt. Unter der Annahme, dass 1 bis 2 % der auf dem Markt befindlichen Stoffe zurückgezogen werden, weil ihre weitere Herstellung unwirtschaftlich ist, werden die Kosten für die nachgeschalteten Anwender auf 2,8 Mrd. € bis 3,6 Mrd. € geschätzt. Sie können auf 4,0 bis 5,2 Mrd. € steigen, wenn die Anwender ihre Materialversorgung und neu organisieren müssen. In diese Schätzungen eingeschlossen sind direkten Kosten, die die Hersteller von Chemikalien an ihre Abnehmer weitergeben.

Die geschätzten Gesamtkosten für die chemische Industrie und die nachgeschalteten Anwender liegen damit zwischen 2,3 und 5,2 Mrd. €.

Der erwartete Nutzen für Gesundheit und Umwelt ist beträchtlich. Einem erläuternden Szenario zufolge liegt der potenzielle Nutzen des REACH-Systems für die Gesundheit in der Größenordnung von 50 Mrd. € über 30 Jahre.

Anhörung

REACH ist ein Beispiel für partizipatorische Entscheidungsfindung. Die Verordnung wurde in enger Konsultation mit allen Interessengruppen ausgearbeitet, und es wurden mehrere Studien zur Untersuchung von Kosten und Nutzen der verschiedenen Optionen durchgeführt.

Im mai dieses Jahres stellte die Kommission einen Entwurf der geplanten Verordnung im Internet zur Diskussion, um Erkenntnisse über ihre Durchführbarkeit zu gewinnen. Rund 6 000 Stellungnahmen gingen ein. sie kamen überwiegend von Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, und von nichtstaatlichen Umwelt- und Tierschutzorganisationen. Auch einige Mitgliedstaaten und Nicht-EU-Länder gaben Stellungnahmen ab, dazu äußerten zahlreiche Einzelpersonen, unter ihnen auch Arbeitnehmer, ihre Meinung.

Diese Stellungnahmen führten zu wesentlichen Änderungen am Vorschlag, die das System weniger kostspielig und bürokratisch und leichter handhabbar machen und zugleich die Garantien für den Gesundheits- und Umweltschutz verbessern sollen.

Vorgeschichte: die Schwierigkeiten mit dem bestehenden Chemikalienrecht

In Rahmen des bestehenden EU-Chemikalienrechts ist es kaum möglich, die mit vielen Stoffen verbundenen Risiken zu ermitteln, und wo Risiken erkannt worden sind, kann nur langsam reagiert werden.

Das geltende Recht unterscheidet zwischen “Altstoffen” (vor 1981 auf dem Markt) und “neuen Stoffen” (seit 1981 auf den Markt gekommen).

Neue Stoffe müssen bereits angemeldet und geprüft werden, wenn sie in Mengen von 10 kg/Jahr hergestellt werden, Altstoffe überhaupt nicht. Das hat bewirkt, dass ungeprüfte Altstoffe weiterhin verwendet werden, und Forschung, Entwicklung und Innovation behindert. Seit 1981 sind nur etwa 3 000 neue Chemikalien auf den Markt gekommen.

Dagegen waren 1981 100 106 Altstoffe auf dem Markt. Es oblag allein den Behörden zu entscheiden, ob einer dieser Stoffe geprüft werden musste, und Prüfungen mussten von den Behörden durchgeführt werden. Die Verfahren sind langwierig und schwerfällig. So wurden seit 1993 140 in großen Mengen produzierte Chemikalien bestimmt, für die Risikobeurteilungen vorzunehmen sind. Nur eine begrenzte Zahl von ihnen hat bisher das Bewertungsverfahren vollständig durchlaufen.

Mit REACH hätte die künstliche Unterscheidung von “Altstoffen” und “neuen Stoffen” ein Ende.

Der Text des Vorschlags ist im Internet zu finden unter:

http://europa.eu.int/comm/enterprise/chemicals/chempol/whitepaper/reach.htm

http://europa.eu.int/comm/environment/chemicals/whitepaper.htm

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