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In die Knochen geschleust: Wie man mit Metallverbindungen Krebs bekämpft

June 18, 2002 by  

Anorganische Chemiker der Universität Wien arbeiten an organischen Metallkomplexen, die in der Krebstherapie eingesetzt werden sollen. In Sachen Platin geht eine Grenze durch den deutschsprachigen Raum: In Österreich betont man das edle Metall auf der zweiten Silbe, in Deutschland, aber auch in Südtirol auf der ersten Silbe. Bernhard Keppler, der in Heidelberg Medizin und Chemie studiert hat und seit 1996 das Institut für Anorganische Chemie in Wien leitet, schwankt, wie er selbst sagt, “je nach Gesprächspartner”. Er schwankt oft, denn er sagt sehr oft Platin.

Das ist bei einem anorganischen Chemiker, der sich ja auch mit den traditionell in anorganische Gefilde eingeordneten Metallen zu befassen hat, nichts Außergewöhnliches. Allerdings hat Keppler auch über organische Moleküle einiges zu sagen und auch über ausgesprochene Biomoleküle wie Protei-ne. In seinen Labors wird mit Zellkulturen genauso gearbeitet wie mit klassisch anorganischen Komplexverbindungen von Metallen. Kurz: Kepplers Arbeitsgruppe forscht an der Grenze zwischen anorganischer und organischer Chemie – und zwar zu ganz praktischen medizinischen Fragen, im regen Kontakt zu Pharmafirmen. Denn organische Metallkomplexe – so nennt man diese Bewohner zweier Reiche, in denen Metalle über “Komplexbindungen” an Atome gebunden sind, an denen typische organische Reste hängen – erweisen sich immer mehr als geeignete Wirkstoffe zur Behandlung von Krebs.


Seit einiger Zeit erfolgreich im Einsatz zur Therapie von Hodenkrebs ist Cisplatin: Hodenkarzinome, von denen vor allem junge Männer betroffen sind, galten vor dessen Entdeckung als Tumortherapeutikum als praktisch unheilbar; heute sind sie in fast jedem Fall heilbar.

Platin knickt die DNA

Cisplatin ist im strengen Sinn keine organische Verbindung, da es keinen Kohlenstoff enthält. Am zentralen Platin hängen nur zwei Chloratome und zwei Aminogruppen (-NH 3 ). Doch in Laboratorien wie dem Kepplers synthetisiert man etliche verwandte Verbindungen, in denen auch organische Gruppen am Platin hängen und die teilweise noch besser und spezifischer wirken als Cisplatin.

Wie können solche Platinverbindungen gegen Krebs helfen? Im Prinzip durch Wechselwirkung mit der Erbsubstanz DNA, im speziellen mit einem bestimmten Stickstoffatom der Basen Guanin und Adenin. Dort heftet sich das Platin an, wodurch ein kleiner Knick in der DNA entsteht. Dieser Knick hemmt die Reduplikation (Verdopplung) der DNA. Dadurch wird der Selbstmordmechanismus der Zelle (Apoptose) ausgelöst. Und da sich Krebszellen besonders oft und schnell teilen und damit vermehren, werden sie durch das Platin besonders beeinträchtigt.

Das ist freilich noch keine völlig selektive Behandlung – es werden wie bei allen Chemotherapeutika auch normale Zellen geschädigt, wenn auch in geringerem Ausmaß. Wesentlich ist es daher, nach Möglichkeiten zu suchen, die Platinverbindungen spezifisch dorthin zu transportieren, wo sie störend wirken sollen. Kepplers Team entwickelte etwa eine Verbindung, die zwei Phosphonat-Gruppen (-PO 3 H 2 ) enthält und an sich kaum zytotoxisch (zellgiftig) ist. Die Phosphonat-Gruppen werden leicht mit Phosphat verwechselt und somit an Knochen angelagert. Dann spaltet sich die eigentlich zytotoxische Platin-Verbindung ab und wird direkt am Knochen aktiv. So kann man relativ selektiv Knochentumore oder -metastasen behandeln.

Gestörte Verjüngung?

Warum Platinverbindungen bei Hodenkrebs so gut helfen, versteht man noch nicht wirklich. Eine interessante These beruht auf den Telomeren: Das sind die Enden der DNA, die keine Erbinformation enthalten und bei jeder Zellteilung kürzer werden – allerdings nicht in Keimzellen und Krebszellen. Dort wirkt ein Enzym namens Telomerase, das die Telomere wieder anstückelt und die DNA sozusagen jung hält. Dazu kommt, daß die Telomere deutlich mehr Guanin enthalten als durchschnittliche DNA – und eben an dieser Base greift ja das Platin bevorzugt an. Könnte es also sein, daß das Platin die Telomerase fernhält und damit die fortwährende “Verjüngung” der Krebszellen stört? Das klingt plausibel. Allerdings ist der Zusammenhang noch nicht klar und wird auch dadurch verwirrt, daß das Telomer-Modell sich in letzter Zeit als komplizierter als vermutet herausgestellt hat.

Ein anderes Beispiel dafür, wie man zytotoxische Metallverbindungen mit hoher Selektivität in einen Tumor befördern kann, sind Rutheniumverbindungen, die gegen Darmkrebs eingesetzt werden sollen. Hier nützt man aus, daß Darmtumore einen hohen Bedarf an Eisen haben und daher eine erhöhte Konzentration an Rezeptoren für das Eisen-Transportprotein Transferrin aufweisen.

In den Tumor geschmuggelt

Ruthenium kann nun anstatt des Eisens an das Transferrin gebunden werden. So wirkt dieses Protein wie ein Trojanisches Pferd: Es schmuggelt das Ruthenium in den Tumorbereich. Weitere Selektivität kommt dadurch zustande, daß im Inneren eines Tumors Sauerstoffmangel und damit ein reduktives Milieu herrscht: Dadurch wird das Ruthenium von der Oxidationsstufe +III zur Oxidationsstufe +II reduziert. Und in dieser Form ist es wesentlich reaktiver, das heißt, es bindet sich schneller an die DNA und wirkt dadurch stärker zytotoxisch.

So macht man sich in diesem Fall auch zunutze, daß Metalle in Enzymen eine im Wortsinn zentrale Rolle spielen. Das ist, so Keppler, keine Seltenheit: “Die meisten Enzyme haben metallische Zentren. Allerdings beginnt man erst, die Pharmakologie der Metalle zu verstehen.”

Am Institut im Chemie-Physik-Mathematik-“Bermudadreieck” an der Währinger Straße wird auch an Verbindungen etlicher anderer Metalle gearbeitet – darunter Titan, Gallium und sogar seltene Erden (Lanthanide), deren Erforschung ja in Wien eine Tradition hat, die bis auf Auer von Welsbach zurückgeht. Hier kann sich Keppler also auf vorhandene Erfahrung stützen. Um auch selbst Versuche an Zellen machen zu können, wurde eine Zellkultur-Gruppe etabliert. Die heiklen klinischen Tests werden freilich in Zusammenarbeit mit Medizinern und Pharmazeuten durchgeführt werden. Besonders die Rutheniumverbindungen haben sich in bisherigen Tests als wesentlich wirksamer erwiesen als bisher eingesetzte Tumortherapeutika. Sie sollen in Kürze klinisch erprobt werden.

Mehr Infos: http://www.univie.ac.at

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