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Heiße Kugeln

May 8, 2002 by  

Vor mehr als 20 Jahren wurde einem englischen Forscher fast der Schreibtisch abgefackelt, obwohl er nur eine eiserne Kanonenkugel mit einem Hammer bearbeitet hatte. Das Rätsel scheint jetzt gelöst.

Es war ein ganz normaler Tag im Jahre 1976. Der Museumschemiker Bob Child hatte ein paar fast 300 Jahre alte Kanonenkugeln aus einem Schiffswrack auf seinem Schreibtisch liegen. Als er sich mit einem Hammer daran machte, die Kugeln von einer vermeintlichen Korosionsschicht zu befreien, musste er plötzlich die Hände von ihnen lassen: Die Uralt-Munition hatte sich bis blitzschnell auf 400 Grad erhitzt und fast seinen Schreibtisch in Flammen gesetzt. Warum, konnte ihm damals niemand sagen. Jetzt glaubt er, das Mysterium gelöst zu haben.

Königliche Kugeln

Alles begann im Jahre 1691. England führte Krieg gegen Frankreich. Die Coronation, damals das zweitgrößte Kriegschiff der englischen Krone, belagerte im Kanal gemeinsam mit zahlreichen anderen Schiffen die französischen Häfen. Am 3. September aber zwang ein Sommersturm, einer von ungewöhnlich vielen in jenem Jahr, Captain Charles Skelton zur Umkehr. Die Crew wollte im Plymouth Sound Schutz suchen. Was dann genau mit «His Majesty’s Ship Coronation» geschah, ist unklar. Wahrscheinlich versuchte auch Skelton, den Sound als natürlichen Hafen anzulaufen. Der Orkan allerdings brach alle Masten und am nächsten Morgen war das stolze Schiff zwischen Rame und Penlee gesunken. Nur zwanzig Männer von wahrscheinlich etwa 500 konnten sich retten.

Mit der Coronation sanken auch unzählige unbenutzte eiserne Kanonenkugeln. Das stark salz- und sauerstoffhaltige Wasser ließ sie praktisch vollkommen durchrosten. Aus Eisen wurde stark poröses Eisenoxid. All das ist nicht ungewöhnlich. Deshalb war Child auch nicht überrascht, dass die Kugeln, die Taucher in den siebziger Jahren zutage förderten, viel leichter waren, als man von massivem Eisen erwarten müsste.

Korrosion auf der Coronation

Trotzdem – und hier liegt wohl die Lösung des Mysteriums – enthielt die 300 Jahre alte Munition kein Eisenoxid. Denn die Unterwasser-Geschichte geht noch weiter. Die Kugeln versanken im Sand des Kanals, organisches Material hatte sich in den Poren festgesetzt. Der Sand reagierte mit den äußeren Schichten des Eisenoxids. So bildete sich einen dichte Kruste. Das organische Material innerhalb der Kugeln verrottete und lieferte so einen neuen Reaktionspartner für das Eisenoxid, das durch chemische Reduktion zu echtem Eisen zurückverwandelt wurde.

Die Kugeln waren genauso groß wie vorher, enthielten aber weniger Eisen, da die Poren zurückgeblieben waren. Hier liegt für Child, der jetzt bei den National Museums in Cardiff arbeitet, und seinen Kollegen David Rosseinsky vom Gintic Institute in Singapur die Erklärung: Als der Hammer die luftdichte Kruste durchschlug, wurden die Poren von Luft durchzogen. Die riesige Oberfläche des porösen Eisens führte zu einem extrem schnellen Rost- und damit Oxidations-Prozess, der sofort jene Hitze freisetzte, die fast Childs Schreibtisch in Flammen hatte aufgehen lassen.

Eisen für den Pol

Stephen Fletcher von der Lougborough University sage dem Online-Magazin der Fachzeitschrift «Nature», man habe es hier eigentlich mit einem für feines Eisen mit einer großen Gesamtoberfläche ganz normalen Prozess zu tun. Die Reaktion wird sogar kommerziell ausgenutzt, etwa in Handwärmern für Polarforscher. Sie müssen nur ein bisschen Luft in ihre Spezialhandschuhe lassen, um den Heizeffekt hervorzurufen.

Quelle: www.netzzeitung.de

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