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Die Geschichte der Chemie [Teil 1]

June 12, 2002 by  

Ab sofort startet auf Chemikalien.de die neue Reihe: Die Geschichte der Chemie.

Heute beginnt der erste Teil mit der Eröffnungsrede zum 1. Internationalen Chemikerkongreß in Karsruhe, initiiert durch den deutschen Chemiker August Kekulé:
Meine Herren! Als provisorischer Geschäftsführer babe ich die Ehre eine Versammlung zu eröffnen, wie eine derartige zuvor wohl nie getagt hat.


Zwar traten seit 1822 fast jährlich auf O k e n’s Anregung nach dem Vorbilde schweizerischer Versammlungen die deutschen Naturforscher und Aerzte in den verschiedenen Städten ihres Vaterlandes zu wissenschaftlichem Verkehr zusammen; es fanden diese Versammlungen Nachahmung in England, Frankreich, und noch in den letzten Jahren vereinigten sich auch die skandinavischen Naturforscher zu ähnlichen Zusammenkünften.
Es sind dieses aber immer Männer, welche zwar den verschiedenen Theilen der Naturwissenschaften und der Medizin ihre Kräfte zuwenden, welche aber stets denselben Nationalitäten angebören.
Die wissenschaftliche Beschäftigung in diesen Versammlungen ist hauptsächlich durch Vorträge bezeichnet, welche über eigene Arbeiten nach freier Wahl jedes Einzelnen gehalten werden, deren Gegenstand an kein voraus festgestelltes Programm gebunden ist.
Ein reger, freundschaftlicher Verkehr, gewürzt durch eine Reihe von Festen, vereinigt eine Anzahl von Tagen die stamm – und sprachverwandten Naturforscher und Aerzte.
Nicht so unsere heutige Versammlung.
Zum ersten Male sind hier die Vertreter einer einzigen Naturwissenschaft, und zwar der jüngsten, versammelt; diese Vertreter gebören aber fast allen Nationalitäten an. Wir sind verschiedenen Stammes und sprechen verschiedene Sprachen, aber wir sind fachverwandt, uns verbindet ein wissenschaftliches Interesse, uns vereinigt dieselbe Absicht.
Wir sind versammelt zu dem bestimmten Zwecke, den Versuch zu machen, in gewissen, für unsere schöne Wissenschaft wichtigen Punkten eine Einigung anzubahnen.
Bei der außerordentlich raschen Entwicklung der Chemie, besonders bei der massenhaften Ansammlung des thatsächlichen Materials, sind die theoretischen Ansichten der Forscher und die Ausdrücke in Wort und Symbol weiter auseinander gegangen, als zur gegenseitigen Verständigung zweckmäßig und besonders für das Lehren ersprießlich ist. Und doch bei der Wichtigkeit der Chemie für die übrigen Naturwissenschaften, bei der Unentbehrlichkeit derselben für die Technik muß es im höchsten Grade wünschenswerth und geboten erscheinen, ihr eine exactere Form zu geben, damit es möglich werde, dieselbe in verhältnißmäßig kurzer Zeit wissenschaftlich zu lehren.
Um dies zu erlangen, sollten wir nicht gezwungen sein, verschiedene Ansichten und Schreibweisen, wobei die Verschiedenheiten wenig Wesentlichkeiten bieten, vorzutragen, nicht mit einer Nomenelatur belastet sein, welcher bei einer Masse von uunöthigen Symbolen meist alle rationelle Basis abgeht und die zur Vermehrung des Uebelstandes sich meist von einer Theorie ableitet, welche jetzt kaum mehr Gültigkeit besitzt.
Die zahlreiche Betheiligung an der Versammlung ist wohl ein deutliches Zeichen, daß diese Mißstände allseitig erkannt sind und eine Beseitigung derselben im Wege der Einigung im höchsten Grade wünschenswerth erscheint. Die Erreichung dieses Zieles ist ein so schöner Preis, daß es wohl der Mühe werth ist, den Versuch hierzu zu machen.
Den ersten Gedanken zu einem Chemiker-Congresse sprach unser College Kekule schon vor längerer Zeit gegen mich aus. In diesem Frühjahr that ich die ersten Schritte zu seiner Verwirklichung. Das Zeitgemäße des Unternehmens wurde vielfach anerkannt, allerseits fand ich zuvorkommende Unterstützung, so daß ich nicht zweifle, diese Versammlung wird berufen sein, in der Geschichte unserer Wissenschaft einen nicht unwichtigen Zeitabschnitt zu begründen.
Die Stadt Carlsruhe, welcher vor zwei Jahren das Glück zu Theil wurde, eine der glänzendsten Versammlungen der deutschen Naturforscher und Aerzte zu beherbergen, hat jetzt die Ehre, die erste internationale Chemiker-Versammlung in ihren Mauern vereinigt zu sehen.
Carlsruhe ist die Hauptstadt eines zwar kleinen, aber gesegneten Landes, in welchem unter einem erhabenen Fürsten, einer liberalen Regierung Wissenschaften und Künste blühen und ihre Vertreter, geachtet und unterstützt, mit Freudigkeit und Liebe ihrem Berufe folgen können.
Indem ich Sie in dieser Stadt herzlich willkommen heiße, zweifle ich nicht, daß dieselbe Freudigkeit auch unsere Versammlungen durchdringen und hoffe, daß die Wissenschaft mit Befriedigung einst auf die Versammlung zurückblicken werde.”

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